Die berühmte Carretera Austral führt von Puerto Montt nach Villa O'Higgins. Seit der ersten Recherche für die Reise, habe ich immer wieder von ihr gelesen, dieser Straße, die sich durch Chiles Patagonien schlängelt. 1.300 km, größtenteils nicht asphaltiert, unberührte Natur, wenig Zivilisation, viele Radfahrer.
In Horden kommen sie einem entgegen, viele Pärchen, einige Soloradler und ganze Bike-Gangs. In den letzten Monaten habe ich immer Gänsehaut bekommen, wenn ich andere Radfahrer auf der Straße getroffen habe, jetzt winkt man sich müde zu, sagt „Hola“ und ohne Anzuhalten geht es weiter.
Wir alle sind hier, um die weltberühmte Natur zu entdecken und die Magie Patagoniens zu spüren.
Von Kilometer zu Kilometer wird die Umgebung spektakulärer. Schneebdeckte Berge, knallblaue Flüsse, riesige Seen, Gletscher, Kuhherden, die neben der Straße grasen und ich mitten drin.
Es ist schwer in Worte zufassen, wie schön es hier ist. Deswegen an dieser Stelle ein paar Bilder: (unten weiterlesen ;-) )
In Patagonien gibt es an einem Tag jede Jahreszeit. Als ich in Cerro Castillo mein klitschnasses Zelt einrolle und im Regen los radel, habe ich innerlich schon zehn Diskussionen mit mir selbst gehalten – fahren oder warten? Nach 20 Kilometern beschliesse ich umzukehren und auf dem letzten Campingplatz Schutz zu suchen.
Als ich mein Zelt aufbauen will, bricht eine der Zeltstangen an zwei Stellen. Ich habe aber leider nur ein Röhrchen, das man über eine Bruchstelle stülpen kann. Verzweifelt gehe ich zum Campingplatzbesitzer. „Leute“ ist Ende 60 und strahlt eine herzliche Wärme aus. Er winkt mich ins Haus, in dem ein Öfchen bullert und mir direkt ein Gefühl von Zuhause gibt. „Heute ist echt nicht dein Tag!“ sagt Leute, während er sich seinen Poncho überwirft. Wir gehen in den Geräteschuppen und das Glück im Unglück ist auf meiner Seite. Zwischen Werkzeugkästen, alten Reifen und Strohballen, finden wir eine abgebrochene Zeltstange mit einem Verbindungsstück. Leute pfeilt es zurecht und ein paar Minuten später habe ich eine intakte Zeltstange, die jedoch mit Vorsicht zu genießen ist. Ich verbringe den Regentag in meinem Unterschlupf, ohne Wlan, ohne Empfang, mit runter geladenen Netflixfilmen und netten Gesprächen mit Leute.
Ohne Wlan und Empfang geht es weiter. Als ich einige Tage später das Dorf Cochrane verlasse, liegen nur noch etwas mehr als 200KM und eine Fährtfahrt vor mir. Mein Ziel ist es, die letzte Fähre um 18 Uhr zu erreichen. 130 KM, 1.700 Hohenmeter, eine Challenge, die klappen könnte, wenn da nicht die steilen Berge mit schwer befahrbarem Untergrund wären. Ich habe seit heute früh nichts mehr gegessen, denn in meiner Küchen-Tasche riecht es verdächtig nach Petroleum. Meine Brennstoffflasche scheint undicht zu sein und der penetrante Petroleumgeruch hat sich über meinem kompletten Vorrat ausgebreitet. Brot, Gemüse, Obst – alles ungenießbar. Ein Blick auf die Uhr 17:45, ich trete in die Pedale, mit der Hoffnung, dass nun endlich die Abfahrt zum Hafen beginnt, aber als ich den Blick wieder nach vorne richte, sehe ich schon wieder einen steilen Berg. Ich gebe auf, fahre rechts ran und schaufel Nüsse (das einzige, was nicht nach Petroleum schmeckt) in mich hinein, bevor ich die letzten 8 km zum Hafen fahre.
Am nächsten Morgen geht es um 10 Uhr mit der ersten Fähre zu den letzten 100 km der Carretera, die sich als anstrengendste Kilometer entpuppen. Ich ignoriere das Knurren meines Magens. Mittlerweile ziehe ich eine konstante Petroleumwolke hinter mir her und der Fleck am äusseren der Tasche wird immer größer. Nach 10 Kilometern wellblechartigem Schotterbodens ein Zischen – na klar, ein Platter. Absteigen, Schlauch tauschen, weiter geht’s.
Steile Berge, wunderschöne Aussichten, strahlender Sonnenschein und immer wieder diese fiesen Bremsen-artigen Fliegen, die kommen, sobald ein Berg mich abbremst. Als wäre es nicht schon anstrengend genug, das Fahrrad bei ca. 4km grade und dann auch noch in der Spurrille, die nicht voll losem Schotter ist, zu halten, kreisen sie in Scharen um mich herum. Setzen sich auf meine Sonnenbrille, versuchen in Ohren und Nasenlöcher zu krabbeln. Am liebsten setzen sie sich aber auf meine Ärmel oder Rücken und beissen freudig in meine Haut. Ein fieses Stechen durchdringt meinen Körper, reflexartig haue ich mit einer Hand nach dem Teufelstier. Der Lenker rutscht nach rechts, die Reifen geraten in den losen Schotter, gerade so verhindere ich einen Crash. Ich bin die wohl schlechteste Veganerin der Welt, denn heute töte ich um die 20 Beissbiester.
40 km vor Villa O'Higgins ist die Luft raus. Ich baue in einer kleinen umwachsenen Bucht der ohnehin kaum befahrenen Straße mein Zelt auf. Seit Tagen habe ich nicht mehr geduscht, auf meiner Haut ist eine dicke Schicht aus Schweiß und Staub, aber ich habe keine Energie mehr, um mich im Fluss zu waschen. Also steige ich, dreckig wie ich bin, in meinen frisch gewaschenen Schlafsack.
Am nächsten Morgen geht es weiter. Nach ein paar Stunden das Schild „Villa O'Higgins 7km“ - wird ja nicht mehr so schlimm sein, denke ich. Doch die Schotterpiste wird zum Alptraum. Lose, große Steine, wie auf einer Schneepiste, schlittere ich hin und her. In einer Kurve rutscht mein Hinterrad Richtung Kurveninneres, vorsichtig bremse ich ab und versuche das Fahrrad mit dem rechten Bein aufzufangen, dabei knalle ich auf die Stange meines Fahrrads, sagen wir es so, wäre ich ein Mann, wäre ich jetzt wahrscheinlich unfruchtbar. Laut brülle ich „Aua“ und lasse einige politisch unkorrekte Schimpfwörter von mir.
Ich erreiche das Hostel, um mich herum Radfahrer, die das Beenden ihrer Carretera-Fahrt feiern, aber ich will nur eins: Duschen und Essen. Auf die Dusche muss ich allerdings noch einige Stunden warten, denn das komplette Dorf hat kein Wasser. Aber mann, was fühlt sie sich gut an.
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