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AutorenbildLisa

Ein holpriger Start gen Pamir Highway

Es ist fünf Uhr morgens und ich bin vor meinem Wecker wach. Auf Zehenspitzen schleiche ich mich aus dem Dorm Room des Green House Hostels in Duschanbe und bepacke mein Fahrrad. Hastig schlinge ich mein Frühstück herunter, denn ich will so schnell wie möglich auf dem Rad sitzen, um wenigstens ein paar Stunden in angenehmen Temperaturen zu fahren. Nach wenigen Minuten Fahrt biege ich auf die M41 - den Pamir Highway ab und direkt gesellt sich mein „bester“ Freund dazu… Der Gegenwind. Den ganzen Tag kämpfe ich gehen ihn an, während ich mich Kilometer für Kilometer über Tausend Höhenmeter nach oben arbeite. Am späten Nachmittag gebe ich auf und suche mir an einem Fluss abseits der Straße einen Ort für mein Zelt. Am nächsten Morgen schaue ich auf mein Handy. In der Whatsapp Gruppe von Leuten, die mit dem Rad gen Osten fahren, schreibt jemand, dass sie gehört habe, dass die Passstraße, auf die ich heute abbiegen werde, immer noch gesperrt sei. 


Von Duschanbe aus gibt es zwei Routen zum Pamirgebirge. Die südliche, via Kulob, entlang am Nurek Reservoir und die nördliche, über den Tavildara Pass. Die südliche Strecke ist zwar 100KM länger, ist aber schneller, da 200 KM der nördlichen Route Erdweg in schlimmsten Zustand ist. Dafür ist die nördliche Route aber landschaftlich beeindruckender. Ich bin zwar Gravel-Fan, aber wegen der 200 KM grauenvoller Straßenoberfläche, die mit zwei Taschen á 10 KG am Hinterrad, sicherlich ungemütlich wären, hatte ich mich eigentlich gegen die Strecke entschieden. Am Abend vor meiner Abreise hatte ich allerdings Matthias und Bettina aus der Schweiz kennengelernt. Der Pamir sollte ihre erste Radreise werden, sie hatten sich noch nicht eingelesen, aber beschlossen, die nördliche Route zu nehmen. Da ich (leider) bin, wie ich bin, habe ich mich irritieren lassen. „Na wenn das deren erste Radtour ist und die die schwere Route nehmen, dann muss ich die doch auch nehmen! Sonst nimmt mich niemand ernst!“


Beim lesen der Nachricht, dass die Passstraße, die im Winter gesperrt ist, jetzt, Mitte Mai, noch dicht sein sollte, dreht es mir den Magen um. Ich beschließe dennoch weiter zu fahren. An einem Container, der am Straßenrand als Polizeikontrollpunkt dient, frage ich einen Mann, ob der Pass befahrbei sei. Er nickt. Dennoch bleibt ein komisches Gefühl. Und dann bekomme ich einen Vorgeschmack auf die Straßenverhältnisse. Entlang eines Sees fahre ihr auf losem Sand-Erd-Stein-Mix steile Berge hinauf und wieder hinunter. Der See wäre normalerweise knallblau, wenn nicht gerade China auf der anderen Seite des Sees eine neue Straße für die wichtige LKW Verbindung bauen würde und die abgetragene Erde nicht in den See gekippt werden würde, Die Abfahrten sind genauso langsam wie die Anstiege, da ich ständig bremsen muss, um Schlaglöcher zu umfahren und Steinen auszuweichen. Mittlerweile ist es 33 Grad warm und ich schwitze ohne Ende. Immer wieder muss ich mich durch riesige Herden von hunderten Schafen und Ziegen bahnen. Meist fahre ich schnell hinter ein ungeduldig hupendes Auto, damit ich die Gasse nutzen kann. Nach sechs Herden höre ich auf zu zählen und nachdem ich das erste totgefahrene Schaf sehe, das gerade von einem Cowboy-Tadschiken in einen Beutel gestopft wird, stelle ich mir so viele Fragen über das Leben der Tiere und der Menschen hier.


Die Abfahrt zur Passstraße ist nun keine 12 KM mehr entfernt, aber es geht immer noch bergauf. Meine heutige Strecke hat auf 80 KM über 2.000 Höhenmeter, die alle auf Schotter stattfinden. Erschöpft sitze ich im Schatten und esse zum ersten Mal etwas richtiges. Vorher hatte ich wegen der vielen Schafherden keine Pause gemacht, da ich verhindern wollte, von ihnen überholt zu werden. Dann hätte ich mich wieder wie der Moses des Schaf-Meers durch sie bahnen müssen. Ich bin nicht nur erledigt, ich habe regelrecht die Schnauze voll von der Strecke, auch wenn der Ausblick auf die hohen Berge, mit den grünen Wiesen im Tal und den gigantischen Schluchten, wirklich atemberaubend schön ist. Noch nie auf dieser Reise habe ich mich so sehr über mich selbst geärgert. Wieso hab ich mich von den uninformierten Plänen anderer Leute von meinem gut recherchierten Plan habe abkommen lassen? Die Wut und die Anspannung wegen der eventuellen Straßensperrung suchen sich ihren Weg und dicke Tränen kullern meine Wangen herunter.


Nachdem ich mich aufgerafft und zusammen gerissen habe, komme ich irgendwann endlich am Polizei-Chekpoint bei der Passstraße an. Ein Polizist notiert in einem Buch meine Daten und kontrolliert mein GBAO-Permit, den ich für die autonome GBAO-Region brauche. Vor dem Polizeicontainer checke ich nochmal kurz, wie viele KM ich noch bis zu einem Restaurant habe, in dessen Garten man laut meiner App iOverlander zelten darf. „Lisa!“, der Polizist ruft mich zurück. Mit Gesten fragt er mich, ob ich Hunger habe. Ich verneine freundlich. Er öffnet die Tür zu einem Raum, in dem auf dem Fußboden, auf einem Tischtuch, Dastarchan genannt, Essen steht. Ich schüttel den Kopf und bedanke mich auf russisch, woraufhin der Polizist mich plötzlich mit festem Griff am Arm in den Raum zieht. Mein Herz fängt an zu wummern und Angst macht sich breit. Mit ganzer Körperkraft entreiße ich mich seinem Griff und suche so schnell ich kann das weite. Zitternd sitze ich auf dem Fahrrad und versuche meinen Kopf daran zu hindern, Flashbacks abzuspielen. 


Nur noch 16 KM und 750 Höhenmeter, dann kann ich mich im See waschen und endlich in mein Zelt kriechen. Die Straße macht ihrem Ruf alle Ehren. Sie ist so breit, dass grade mal ein Auto auf sie passt, rechts von mir geht es steil nach unten. Ich muss auf Schlaglöcher und Steine achten und in den spitzen Kurven aufpassen, dass ich nicht in den Rinnsälen von Schmelzwasser ausrutsche. Meine Kräfte schwinden mit jedem Höhenmeter und durch die Hitze und den Schweiß, breitet sich überall, wo Körper auf Sattel trifft, ein brennender Schmerz aus. Nach zwei Stunden habe ich endlich das Restaurant in the middle of nowhere erreicht, es liegt an einem schönen kleinen See, doch leider ist es zu und ist dank eines hohen Zauns komplett abgeriegelt. Was nun? Ich kann wirklich keinen Kilometer mehr fahren und meine Energiereserven sind so sehr aufgebraucht, dass mir schwummrig wird. Zitternd hocke ich am Straßenrand, während sich der Himmel schwarz färbt. In den ganzen zwei Stunden habe ich drei Autos gesehen, die mir alle entgegen gekommen sind. Auch jetzt ist niemand zu sehen. „Du musst jetzt erstmal was essen, damit du wieder klar denken kannst!“ Es ist, als würde ich neben mir stehen. Hektisch und planlos durchwühle ich meine Provianttasche, stopfe mir trockenes Brot in den Mund und versuche beim Runterschlucken nicht zu ersticken. Plötzlich Motorengeräusche. Am Hang gegenüber kommt ein großer, alter Militär-LKW auf mich zu. In Windeseile packe ich das Brot wieder weg und mache mit dezent dramatischem Winken auf mich aufmerksam. Mit google translate erkläre ich meine Situation und frage, ob die vier Männer und der kleine Junge nach Kalaikhum fahren und mich mitnehmen können. Der Fahrer schüttelt den Kopf und erklärt irgendetwas, das ich nicht verstehe. Da ich vergessen habe die kyrillische Tastatur auf meinem Handy herunterzuladen, kann mir diesmal auch Google Translate nicht helfen. Als es anfängt zu regnen, nehme ich sein Angebot, das ich nicht verstanden habe, an. Eine Stunde später setzen die Jungs mich 15 KM weiter in einem Dörfchen ab. Sie gestikulieren, dass ich irgendwo da vorne schlafen kann. Ich danke ihnen und dann stehe ich im Regen am Straßenrand und frage mich, wo ich nun schlafen soll. Plötzlich hält ein Mann in einem Auto an. „Hello!“, er zückt sein Telefon und spricht mit jemanden, bis er mir das Telefon reicht. Auf englisch erklärt mir die Person, dass der Herr namens Musty, mich zu ihm und seiner Frau und Kindern einlädt. Dass ich Gast in seinem Land sei und er mich gerne beherbergen würde. Dankend nehme ich das Angebot an und folge Musty einen KM zu seinem Haus, wo ich von seiner Frau Majonna und seinen fünf Kindern empfangen werde, als wäre ich Teil der Familie. Keine halbe Stunde später sitze ich auf dem Boden vorm Tischtuch, auf dem in goldenen Schalen und Etageren Nüsse, Kekse, Trockenfrüchte, Bonbons, Gemüse und Obst liegen. Im Minutentakt werden weitere Speisen auf das Tuch gestellt. Brot, Pommes, Kefir, hausgemachter Honig und Marmelade. „Iss! Iss!“ sagt Majonna. Dann gesellen sie sich zu mir. Musty ruft wieder jemanden an und reicht mir das Telefon. Diesmal spricht die Person zu meiner Verwunderung sogar Deutsch. Es ist Muhammed aus Duschanbe. Einige Minuten lang dolmetscht er zwischen mir und der Familie. Dann legt er auf und wir steigen wieder zu Google Translate um. Eine der Töchter baut mir auf den Sitzpolstern ein Bettchen und Benjamin, der jüngste, ein wahrhaftiger Komiker, sagt, er wolle auf dem Teppich neben mir schlafen. Nach einem kurzen Gang zur Toilette, die sich wie oft in tadschikischen Haushalten, in einem Holzhüttchen ausserhalb des Hauses befindet und aus einem Loch im Holzboden besteht, falle ich erschöpft in mein Schlafgemach und schlafe direkt ein, während draussen weiter das Gewitter tobt.


Am nächsten Morgen wird wieder reichlich aufgetischt, während es draussen immer noch wie in Strömen regnet. Beim Gedanken an den Zustand der Straße, nach dem gestrigen Gewitter und Regen und dem 3.000 Meter Pass, wird mir ganz anders. Mir geht es mental gar nicht gut. Ich ärgere mich zu sehr über mich selbst und die Situation mit dem Polizisten hat meiner mentalen Gesundheit ein blaues Auge verpasst. Doch beim Anblick der Familie wird mir ganz warm ums Herz. Als ich frage, ob ich ihnen etwas Geld fürs Essen geben soll, winkt Majonna nur ab und gestikuliert, dass sie sich freut, mir geholfen zu haben. Nach einigem hin und her und einem Blick auf den sehr bescheidenen Wetterbericht, beschließe ich die restlichen hundert Kilometer der Passstraße nicht zu fahren und stattdessen mit einem Sammeltaxi wieder zurück bis kurz vor Duschanbe zu fahren, um dort die südliche Strecke zum Pamir zu fahren. Musty organisiert mir ein Taxi und dankt mir, dass ich da war. Vollkommen fasziniert von seinen Danksagungen, da ich ja die Person bin, die zu danken hat, sitze ich im Taxi und fahre genau den Weg zurück, den ich die letzten zwei Tage gefahren bin. Und auch im Taxi hört die Freundlichkeit der Tadschik*innen nicht auf. Der Fahrer kauft mir Cola, eine Passagierin reicht mir Brot und Würstchen (die ich dankend ablehne). Sechs Stunden später steige ich an der Kreuzung der südlichen Straße aus. Ich bezahle und danke dem Taxifahrer und bepacke mein Fahrrad in der prallen Sonne. Doch dann läuft es mir plötzlich eiskalt den Rücken herunter. Mein Schlafsack! Wo ist mein Schlafsack?! Das Taxi ist schon lange weitergedüst. Panisch verfluche ich meine Dummheit und wähle zitternd Muhammads Nummer. Als ich dem Taxifahrer gesagt hatte, dass ich nicht bis nach Duschanbe fahren will, sondern vorher aussteigen möchte, hatte er nämlich Muhammad angerufen, der mich dann auf deutsch zu sich nach Hause eingeladen hatte. Ich hatte seine Einladung dankend abgelehnt, da er mir am Abend vorher zu viele Fragen bezüglich meines Beziehungsstatus gefragt hatte und ich dabei ein unwohles Gefühl hatte. 

„Ich habe meinen Schlafsack im Taxi vergessen!“, rufe ich panisch mit zittriger Stimme ins Telefon, „Kannst du den Taxifahrer anrufen?!“. Es dauert einen Moment, bis Muhammad verstanden hat, was ich meine. „Ich melde mich gleich!“

Minuten vergehen, die sich wie Stunden anfühlen. Meine Knie sind immer noch weich wie Butter. Mittlerweile beobachten mich einige Tadschiken, die sich wohl alle grade fragen, was mit dieser komischen Westlerin los ist. Nach einigen Anrufen und 45 Minuten des Bangens, fährt ein anderes Taxi vor, in dem zwei junge Männer sitzen, die mir grinsend meinen Schlafsack aus dem Fenster halten. Als ich sie frage, wie viel Geld ich ihnen schulde, winken sie ab und fahren von dannen.


Ich bin mit den Nerven so am Ende, dass ich nur noch 12 KM zum nächstbesten Hotel fahre. Am nächsten Morgen sitze ich um fünf Uhr im Sattel, um der Hitze zu entgehen. Kurz vorm Nurek Reservoir steige ich am Eingang eines fünf KM langen Tunnels ab. Dieser ist zwar besser belüftet und beleuchtet, als der Aznob Tunnel, aber da nach dem fünf KM Tunnel noch ein zwei KM Tunnel kommt und es für mich nichts schlimmeres gibt, als mit dem Fahrrad durch Tunnel zu fahren, in denen sich selbst Smarts anhören wie Panzer, versuche ich ein Auto anzuhalten. Zehn Minuten später hält ein Transporter. Die Männer sagen erst, dass sie mich nicht mitnehmen können, legen nach wenigen Metern aber den Rückwärtsgang ein und winken mich herbei. Der Laderaum des Transporters ist voll mit Kisten, in denen allerlei Milchprodukte liegen. Aber wenige Momente später haben die Männer alles so arrangiert, dass ich mein Fahrrad auf die Kisten legen kann. Sie bieten mir direkt Brot an und bestehen darauf, dass ich es esse, während wir durch die Tunnel fahren. Sie bieten mir sogar an, mich bis zum Pamir mitzunehmen, aber da ich nun schon das Nurek Reservoir nur vom Auto aus sehen konnte, lehne ich dankend ab. Und dann genieße ich endlich wieder das Radfahren. Es sind 36 Grad, aber das ist mir egal. Ständig bekomme ich Wasser geschenkt. Entweder halten Autofahrer*innen neben mir und reichen mir Wasser oder aber Tankstellenmitarbeiter bringen mir Wasser vorbei, während ich eine Pause im Schatten genieße. Als ich abends im Zelt liege, bin ich froh, dass ich mich für die Südroute entschieden habe und morgen nun endlich in den Bergen sein werde.


To be continued.



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1 Comment


Canonshop Achatzi
Canonshop Achatzi
Jun 13, 2023

Ich freue mich auf das Buch......Frau und Welt......😍

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