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AutorenbildLisa

Fuck Offroad

Aktualisiert: 4. März 2022

Um drei Uhr nachts werde ich vom Regen geweckt. In konstantem Rhythmus prasselt er an das Fenster des Hostels, in dem ich mich die letzten drei Tage ausgeruht habe. Ich rolle mich auf die Seite und denke mir „Das wird schon!“. Drei Stunden später sitze ich auf dem Fahrrad und verlasse die Stadt Cajamarca. Auf nach Huaraz, auf zur ersten richtigen Dirtroadstrecke. In vielen Blogs hatte ich bereits über die Dirtroads Perus gelesen und war nun gespannt, ob diese Schotterstraßen mein Ding sind, oder nicht.


Die ersten 50 Kilometer Dirtroad, zwischen Huamachuco und Cachicadán sind zwar anstrengend, aber trotz den Anfängen der Regenzeit befahrbar. Immer wieder werde ich von den Bewohnern der kleinen Dörfchen fragend angeschaut. Und wie immer lächle ich und grüße, was in den meisten Fällen dazu führt, dass ich ernte, was ich säe.


Die Landschaft ist unfassbar schön. Als ich am zweiten Tag endlich den Gipfel der Tagesetappe erreiche, überkommen mich die Emotionen. Der Ausblick, die Anstrengung, das Wissen, dass es jetzt 10 KM bergab zum Tagesziel geht... dicke Freudenstränen kullern meine Backe herunter. Plötzlich kommt Regen dazu, der von Sekunde zu Sekunde stärker wird. Ich schwinge mich schnell auf mein Fahrrad und starte die Abfahrt. Innerhalb einiger Minuten bin ich klitschnass. Der Fahrtwind brennt auf meinen Händen, die den Lenker vorsichtig über steile, matschige Serpentinen manövrieren. Als ich in Angasmarca ankomme, sind meine Hände so steif und kalt, dass ich nicht mehr schalten kann. Ich zittere am ganzen Körper und spüre, dass ich den ganzen Tag definitiv zu wenig getrunken habe. Mit letzter Kraft schleppe ich mich in eine Hospedaje. Nach einer lauwarmen Dusche liege ich eine Stunde unter der Bettdecke, doch der Gedanke an mein matschiges Fahrrad lässt mich nicht in Ruhe. Also verlasse ich das warme Bett, um im Regen den gröbsten Dreck zu beseitigen, während mich das halbe Dorf dabei beobachtet.



Am nächsten Tag werde ich wieder vom Regen geweckt, starte dennoch um sechs Uhr in den Tag. Heute steht eine Straße auf dem Programm, auf die ich mich schon seit längerem freue. Zwischen den Dörfern Mollepata und Pallasco windet sich die Straße über jeweils 20 KM Serpentinen ins Tal und dann wieder bergauf. Das Beste daran – alles asphaltiert. Endlich! Mit jedem Kilometer Gejuckel auf der Dirtroad, freue ich mich mehr auf glatten, feinen Straßenbelag. Ein Dorf vor Mollepata berühren meine Reifen dann endlich Asphalt. Doch die Freude hält nicht lange an. Plötzlich ein Baustellenschild und Platzregen. Die Bauarbeiter halten mich noch kurz an, fragen, wo ich herkomme, wo ich hin fahre und ob ich alleine sei. Und dann ist da statt glattem, feinen Asphalt plötzlich dicker, rutschiger Matsch. Mit jedem Meter werden die Matschbeulen um die Bremsen herum und unter den Schutzblechen immer größer. Nach der dritten Serpentine geht nichts mehr. Ich steige ab. Hinter mir rutscht ein Motorradfahrer um die Kurve. Ich frage ihn, wie lang die Baustelle noch ist. „Bis nach da oben!“ sagt er und deutet auf der anderen Seite des Berges. Er ist der einzige Mensch, der wie ich die Abfahrt wagt.

Ich lasse mein Fahrrad stehen und stapfe die Serpentinen hoch, um die Bauarbeiter nach Hilfe zu fragen. „Wir arbeiten noch bis 16 Uhr.“, es ist 13 Uhr. Ich warte, bis ein Bagger ein riesiges Rohr an den Bauarbeitern vorbei transportiert und erkläre dann, dass ich die drei Stunden warten kann. Ich frage, ob sie Richtung Pallasco fahren. „Wir können dich nicht mitnehmen.“

Frustriert stapfe ich wieder zu meinem Fahrrad, hocke mich in den Matsch und versuche mit meinen Fingern die Reifen frei zu bekommen. Dann höre ich ein Fahrzeug das bergab fährt. Ich drehe mich um und sehe die Bauarbeiter, sie hupen, winken und fahren an mir vorbei. „Ayúdame!“ - helft mir! Der Punkt ist erreicht, an dem ich nicht mehr mein eigener Positive Mindset Cheerleader sein kann, ich breche in Tränen aus.


Dann kommt ein Busschen den Berg hoch. Ich winke und erkläre den jungen Männern meine Situation. Auch sie sind Bauarbeiter und nuscheln sich Wörter zu, die ich nicht verstehe. Sie lachen. Der Heulkloß in meinem Hals wird größer und brennt so sehr, dass ich die Tränen nicht mehr zurück halten kann. Sie fahren langsam los und ich falle wieder in den Matsch, zu meinem Fahrrad. „Was soll ich bloß tun?!“ Doch dann höre ich Autotüren. Die Jungs haben angehalten und öffnen die Kofferraumklappe. Eine Viertelstunde später stehe ich wieder in dem winzigen Dorf Mollepata.

Ich habe die Schnauze voll und will irgendwie mit einem Bus nach Huaraz kommen. „Dafür musst du mit dem Colectivo nach Trujillo an die Küste und von da aus mit dem Bus weiter.“ Die komplette Familie des Ticketverkäufers steht um mich herum. Sie blicken mit mitleidig an. Ich bin von oben bis unten dreckig, meine Schuhe sind zu Plateauschuhen mit Matschsohle geworden und mein Fahrrad ist ein einziger Matschklumpen.

Der Kleinbus nach Trujillo fährt erst um ein Uhr nachts, es ist 14:30, mein Magen knurrt. Seit den drei Oreos um 11 Uhr habe ich nichts mehr gegessen, aber ich bin gewillt bis ein Uhr auf der einzigen Bank im Dorf zu sitzen und zu warten. Doch die Familie, die in ihrem Kiosk die Tickets verkaufen, betreibt auch ein kleines, einfaches Gasthaus. „Du bekommst jetzt einen Schlüssel für ein Zimmer, du kannst die Dusche benutzen, dich ausruhen, dein Fahrrad sauber machen und heute Nacht um eins fährst du los. Und mach dir keine Sorgen, du musst nichts für das Zimmer bezahlen. Du bist eine Reisende und irgendwann kannst du einem Reisenden aus Peru in deinem Land helfen.“ Ich fange schon wieder an zu heulen, diesmal vor Dankbarkeit.

Einige Stunden später sitze ich im Colectivo und versuche zu schlafen. Doch mein Unterbewusstsein ist auf Habachtstellung. Im stockdusteren fahren wir die Strecke, die ich in den letzten Tagen geradelt bin, wieder Richtung Norden. Doch irgendwann nimmt der Fahrer eine Abkürzung und bleibt am Hang im Schlamm stecken. Mit jaulendem Motor und durchdrehenden Reifen versucht er vorwärts zu kommen. Das Busschen driftet auf der engen, ungesicherten Straße hin und her. Neben uns der Abgrund. Zum ersten Mal auf dieser Reise habe ich richtig krasse Angst. Die drei Männer, die in der Reihe vor mir sitzen, steigen aus und versuchen im strömenden Regen Steine vor die Reifen zu legen, damit wir irgendwie bergauf kommen. Doch es hilft nichts. Immer wieder rutschen wir wieder nach hinten und der Fahrer verliert die Kontrolle über den Wagen. Dann stapfen sie los, um Hilfe zu holen. Es ist drei Uhr nachts und wir sind irgendwo im Nirgendwo. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen sie zurück, gefolgt von einem riesigen Traktor, der uns den Berg hinauf schleppt.#


Gerade als sich mein Puls beruhigt hat und es weiter gehen kann, sagt der Fahrer, dass die Bremse nicht mehr funktioniert. Ich warte darauf, dass Ashton Kutcher mit den Worten „You just got punk'd“ aus seinem Versteck springt, aber nichts passiert. Das ist wirklich alles real. Die drei Männer steigen wieder aus und hämmern eine weitere Ewigkeit unter dem Auto herum. Dann fahren wir weiter, entspannen kann ich mich aber nicht. Einige Kilometer später sagt der Fahrer „Es geht wieder nur die Handbremse.“, fährt aber ungestört weiter durch die Serpentinen.

Irgendwann halten wir an, mittlerweile ist es hell und ich sehe, dass die drei Männer Werkstattoveralls an haben. Mein Puls beruhigt sich etwas. Über eine Stunde robben die Männer unter dem Auto herum, hämmern, schrauben und fluchen. Dann geht es endlich weiter. Nach fast 14 Stunden Fahrt kommen wir in Trujillo an, normalerweise hätte die Fahrt sieben gedauert.

Das Leben ist nicht immer nur Pommes und Disko, auch auf Reisen. Und es sind genau diese Momente, die mich wachsen lassen. Auch wenn mein positiver Mindset mich verlässt und ich nicht mehr weiter weiß, geht es irgendwie doch weiter.


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