Als ich Trujllo verlasse, bin ich froh wieder im Sattel zu sitzen. Die ersten 100 Kilometer düse ich durch das Niemandsland der Küste Perus. Vom Meer sieht man allerdings nicht viel, denn die Küste Perus ist eine riesige Wüste. Entweder ist das Meer von riesigen Dünen verdeckt oder durch den Sand in der Luft gar nicht zu sehen.
Nach einem unendlich langen Berg sind es noch 35 KM bis zum Tagesziel Chimbote. Sollte ein Klacks sein, denn die Straße ist flach und führt geradeaus zum Ziel. Doch die Realität holt mich schnell ein, heftiger Gegenwind bremst mich komplett aus. Ich trete hart in die Pedale und komme so gut wie nicht voran. Hinzu kommt der Sand, der mir ununterbrochen ins Gesicht peitscht. Zehn Kilometer kämpfe ich mich voran, bis ich aufgebe. Den ganzen Tag habe ich so gut wie nichts gegessen. Ausserdem ist es schon relativ spät und ich habe keine Lust im Dunklen herauszufinden, ob die Küste Perus wirklich so gefährlich ist, wie immer berichtet wird.
Nach mehreren Versuchen irgendwen anzuhalten, fährt ein LKW rechts ran. Der Fahrer transportiert Bananen nach Lima und bietet mir an, mich bis in die Hauptstadt mitzunehmen. Ein Blick auf die öde, surreale Wüstenlandschaft, die an Tatooine erinnert, macht die Entscheidung leicht. Und so beginnt die 500km lange Fahrt mit Luis-Felipe, der schon seit 11 Stunden unterwegs ist und sich immer wieder Kokablätter in die Backen stopft, um wach zu bleiben. Er erzählt, dass er das einmal die Woche macht, 18 Stunden hin, ein bis zwei Stunden schlafen, während die Fracht entladen wird und dann wieder 18 Stunden zurück. Das alles für 250€ im Monat.
Die Unterhaltung liegt mir wie Blei im Magen, während Luis-Felipe sichtlich gegen den Sekundenschlaf ankämpft. Er rollt das Fenster runter, stopft sich neue Kokablätter in den Mund, haut sich auf die Backen und bittet mich darum, ihm was zu erzählen. Als wir Lima erreichen ist er seit 27 Stunden wach. Um vier Uhr falle ich total erledigt in ein Hostelbett. Unvorstellbar, dass Luis Felipe in einer Stunden die Rückfahrt antritt.
Nach zwei Nächten in Lima radel ich 20 KM durch den Stadtverkehr nach La Punta, einer winzigen Halbinsel westlich der Hauptstadt. Dort treffe ich auf Pochi und Vaughn, die Eltern meiner Freundin Bibi aus Kalifornien. Vor fast genau vier Jahren hatte ich Bibi, ihren Freund Jake und ihre Tochter Emma kennen gelernt. Über craigslist (wie ebay Kleinanzeigen). Damals war ich dabei mein Equipment meiner ersten Fahrradreise zu verkaufen (Seattle – San Diego) und da Jake genau so fahrradverrückt ist wie ich, kaufte er meine Ortlieb Frontrollers. Wir unterhielten uns recht lange und irgendwie hatte ich väterliche Gefühle in ihm geweckt, denn als wir uns verabschiedeten, sagte er mir, dass ich bei ihm und seiner Familie schlafen könne, falls ich eine Unterkunft bräuchte. Ich verbrachte vier wunderschöne Tage mit Emma, Bibi und Jake.
Vier Jahre später stehe ich nun bei Bibis Eltern auf der Matte und werde mit ebenso offenen Armen begrüßt. Die Herzlichkeit, mit der mich Bibi damals aufgenommen hat, ist nicht weit vom Stamm gefallen. Pochi zeigt mir die kleine Halbinsel, auf der jeder jeden zu kennen scheint und das reinste Seniorenparadies ist. Bingoabende, Handarbeitskurse, Konzerte, Feste und vor allem Gemeinschaft und Zusammenhalt stehen hier auf der Tagesordnung. Mit Vaughn trinke ich Bierchen, während er mir von der Zeit erzählt, als er in Würzburg stationiert war. Er zeigt mir sogar die „Zona VIP“, in der er mit seinen Freunden samstags das ein oder andere Literchen Bier verdrückt.
Ich genieße die Zeit in La Punta, die wie Urlaub für die Seele ist. Mit glückserfülltem Herz steige ich in den Bus. Ich habe keine Lust auf die 300km Wüste nach Nasca, von wo es wieder in die Berge geht.
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