Die Atacama Wüste, die an der Pazifikküste Südamerikas liegt und sich über den Süden Perus und den Norden Chiles streckt, ist die trockenste Wüste der Erde außerhalb der Polargebiete. Eigentlich hatte ich nicht vor, durch die Küstenwüste zu fahren. Aufgrund der Situation in Bolivien bin ich nun aber doch dort gelandet.
Viele Kilometer auf endlosen Straßen, die fast nur geradeaus gehen. Man könnte meinen, dass die Wüste nicht viele Berge mit sich bringt, tut sie aber. Alleine auf der ersten Etappe in Chile, von Arica nach Cuya, habe ich mich mehrere Male auf bis zu 1.300 Meter Höhe gekämpft, um dann wieder auf unter 100 Metern Höhe zu düsen. Das alles bei praller Sonne.
Und dann kam Paso Sico, eine Passstraße, die Chile mit Argentinien verbindet und absolut abgelegen ist. Ich starte im Touristencenter der Atacama Wüste, in San Pedro de Atacama, Chile. So langsam habe ich genug von der Wüste, aber ich versuche einen positiven Mindset zu behalten und starte eine weitere Danceparty auf meine Fahrrad. "Gute Laune" Spotifyplaylist an, laut singen und genießen, dass niemand meinen Gesang hören kann, da nur alle Nase lang ein Auto an mir vorbei rauscht.
Socaire ist das letzte Dorf auf der chilenischen Seite, knapp 200km entfernt vom ersten Dorf auf der argentinischen Seite. Die Strecken müssen also gut geplant sein, damit ich weder verdurste noch verhungere und meine Eltern einen Suchtrupp los schicken müssen.
Als ich am frühen Nachmittag in Socaire ankomme, knurrt mein Magen und ich steuere eins der Restaurants an, die hier ganz offensichtlich vom Tourismus leben. Im Stundentakt fahren "Turismo Vans" vor, Touristen in Outdoorklamotten purzeln samt Guide aus dem Bus, um sich den Bauch voll zu schlagen.
Irgendwann zwischen Suppe und Hauptspeise, setzt sich Salvador zu mir, der Besitzer des Restaurants.
"Wie weit fährst du heute noch?"
"Ich weiß es nicht, weißt du, wo man hier vielleicht campen kann?"
"Du kannst hier schlafen! Und für das Essen musst du auch nichts zahlen!"
Gerührt von der Warmherzigkeit, rolle ich Isomatte und Schlafsack aus und mache es mir auf dem Boden zwischen den Tischen bequem. Am nächsten Tag reicht mir Salvador eine riesige Tüte gefüllt mit frisch gebackenen, warmen Brötchen. Ich umarme ihm zum Abschied und kann nicht in Worte fassen, wie dankbar ich bin.
Die Landschaft, vor allem die Farben, ändern sich von Kilometer zu Kilometer. Bis auf die Turismo-Vans gibt es kaum ein Auto auf der Straße und ich singe wieder laut vor mir her. Die Esel, Alpakas und Vicunas, die am Straßenrand grasen, scheint das nicht zu stören.
Ich will am "Salar de Aguas Calientes" zelten und als ich um die Kurve fahre und den Salzsee zum ersten Mal sehe, sag ich laut "Holy Shit!"
Ich kämpfe mich die letzten Kilometer durch den starken Gegenwind zum perfekten und bis jetzt spektakulärsten Wildcampingspot der Reise. Ein paar Stunden, nachdem ich mein Zelt an einem halbwegs windstillen Platz aufgebaut habe, füllt sich der See plötzlich mit Flamingos. Staunend beobachte ich die Tiere aus der Ferne. Nachts fallen die Temperaturen unter den Gefrierpunkt, ein Hoch auf meinen Schlafsack, der mich schön warm hält. Als sich nachts meine Blase meldet und ich mich aus dem Zelt pelle, haut es mich fast aus den Schuhen. Über mir sind tausende Sterne, die Milchstraße ist gefühlt zum Greifen nahe.
Am nächsten Tag fällt es mir schwer mein warmes Zelt zu verlassen. Draussen ist es immer noch recht kühl und als ich mein Fahrrad wieder auf die Straße geschoben habe, muss ich meine dicken Handschuhe raus holen.
Es folgt der anstrengendste Part des Paso Sico, da die Strecke bis zur argentinischen Grenze konstant zwischen 4.000 und 4.600 Höhenmetern liegt.
An einem Kontrollpunkt der Polizei halte ich an und werde direkt mit frischem Obst beschenkt. "Du reist alleine? ALLEINE?!", die drei Polizisten stehen um mich herum, schauen abwechselnd auf mein Fahrrad und dann wieder auf mich. Als ich mich abends nach tagelangem Funkloch im Wlan der Stadt "San Antonio de los Cobres" anmelde, habe ich auf Facebook eine Nachricht einer der Polizisten - Datenschutz wird in Südamerika anscheinend nicht so ernst genommen ;-)
Nach der Polizeikontrolle sehe ich in der Ferne die Grenze. Der Teil, vor dem mich alle gewarnt haben. Denn dort heißt es nicht nur "Tschüß Chile", sondern auch "Tschüß Asphalt!"
Als meine Reifen die Wellblech-Schotter-Piste berühren, weiß ich, dass die nächsten 130km kein Zuckerschlecken werden. Ich muss an die Franzosen denken, die ich vor einer Woche in der Wüste Chiles kennen gelernt habe, die mich ein paar Kilometer mit ihrem Land Rover mitgenommen haben. "Wie schön wäre es, wenn die jetzt auftauchen würden."
Fünf Minuten später sind meine Gedanken schon wieder ganz wo anders, als sich plötzlich ein Auto von hinten nähert. "HOLA CHICA!", ich drehe mich zur Seite und kann nicht glauben, wen ich da sehe. Die Franzosen! Lachend stehen wir auf der Straße, fallen uns in die Arme und können nicht fassen, was hier grade passiert ist.
Ich spare mir viele Kilometer, die schon mit dem Auto ein Horror sind und genieße abends die erste Dusche nach drei Tagen "middle of nowhere" im Hotel in "San Antonio". Die Welt ist und bleibt eben ein Dorf.
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