"Donde estás?" - Wo bist du? Ich sitze an der Küste Ecuadors, am Meer und mache eine kurze Pause, als mich die Whatsapp Nachricht von Hamilton, meinem Freund aus Ibarra, empfängt. "Am Meeeeeeeeeeer!" antworte ich und schicke noch ein Bild hinterher. Die Stimmung ist super, ich schaue auf den Pazifik, lausche den Wellen und freue mich endlich mal wieder am Meer zu sein.
Dann kommt eine neue Nachricht von Hamilton, die erklärt, dass die Bus- und Taxifahrer protestieren, dass ich aufpassen soll.
Ich hatte mich schon gewundert, warum die Küstenstraße so ruhig war. Nach einer kleinen Googleaktion verstehe ich auch den Grund. Moreno, der Präsident Ecuadors hat die Subventionen auf Sprit gestrichen, über Nacht stiegen die Spritpreise um 30%. Ausserdem wurden Gehalt und Urlaubstage des öffentlichen Dienstes gekürzt und das Land der indigenen Bevölkerung für Öl-, und Bergbauunternehmen frei gegeben. Kein Wunder also, dass das ganze Land sauer ist.
Und dann geht alles ganz schnell. Ruckzuck sind Straßen blockiert, Städte wie Quito, Cuenca und Ibarra sind Hauptorte der Proteste und gleichzeitig so gut wie abgeschnitten von der Aussenwelt, keiner kommt rein keiner kommt raus. Menschen stürmen die Straßen und zeigen der Regierung sehr deutlich, was sie von den Änderungen halten. Der Präsident ruft den Ausnahmezustand aus.
An der Küste bekomme ich davon nicht viel mit, ausser dass Touriorte wie Montañita unheimlich leer sind. Über die Whatsappgruppe "Biking to Patagonia" werde ich in eine "Ecuador Streik" Gruppe eingeladen, in der sich Backpacker, Bikepacker, Motorradreisende und Campervans über die aktuelle Lage austauschen. Schnell wird mir klar - alle wollen nur noch eins: raus.
Mittlerweile hat auch das auswärtige Amt die Warnhinweise für Ecuador aktualisiert und die internationalen Medien berichten über die Zustände im Land.
Erst als ich Salinas, den westlichsten Punkt Ecuadors erreiche, komme ich mit den Ausmaßen der Proteste in Berührung. Normalerweise wäre ich von hier wieder in die Berge, nach Cuenca, um dann dort Richtung Süden, Richtung Peru zu fahren. Den Plan verwerfe ich recht schnell. Der Streik geht nun seit fünf Tagen, es kursieren Gerüchte von Essensknappheit in den Städten. Die indigene Bevölkerung ist auf dem Weg nach Quito, sie haben zu einem nationalen Streik aufgerufen.
Schweren Herzens verabschiede ich mich von meinem Plan und schmiede einen neuen: So schnell es geht zum Grenzübergang nach Peru an der Küste. So oder so muss ich durch Guayaquil, die größte Stadt Ecuadors und nach Meinung der Ecuadorianer, die ich bis jetzt getroffen habe, auch die gefährlichste.
Es ist Montag, ab Mittwoch wird landesweit gestreikt, bis zur Grenze sind es fast 400km, das heißt nur eins: Gas geben.
30 km außerhalb Salinas treffe ich auf die erste Straßenblockade. In der Whatsappgruppe hatte ich schon die verschiedensten Formen von Blockaden gesehen - umgekippte Bäume, brennende Reifen, Steine...
Diese besteht aus Holz und ist mit dem Fahrrad recht leicht zu überqueren, die Demonstranten helfen mir dabei, dann gehen sie wieder in ihre Sprechgesänge über.
Ich fahre weitere 100km über den super leeren Highway. Da ich (wie immer) sehr früh unterwegs bin, komme ich ohne weitere Blockaden zu meinem Zielort, 20km ausserhalb von Guayaquil.
Am nächsten Tag sitze ich bereits um kurz vor sechs im Sattel und trete in die Pedale, wie eine Verrückte. Eine Stunde später bin ich in der Stadt und es ist ruhig, als wäre alles normal. Vielleicht schlafen sie alle noch? Als ich mich der ersten Brücke nähere, fahre ich an Scharen von Polizisten und Demonstranten vorbei, die sich auf den Weg machen.
Am Ende der zweiten Brücke, in Durán, sieht plötzlich alles aus wie ein Schlachtfeld. Überall Scherben, Hölzer, Asche, neben mir ein qualmender, halb verbrannter Reifen.
Und dann folgen 110km in denen ich abwechselnd Vollgas gebe oder mein Fahrrad durch Blockaden manövriere.
Ich habe keine Angst, wenn auch das Szenario durchaus angsteinflössend aussieht. Schon von weitem sehe ich die Blockaden, die Rauchschwaden der brennenden Reifen, das Gerümpel und Geröll, das Kilometer vorher schon auf der Straße liegt, es fühlt sich an, als würde ich der Apokalypse davon radeln.
Die Demonstranten sind stets freundlich und machen immer direkt Platz. "Lasst die Touristin durch!" Dennoch fühle ich mich manchmal wie ein gelbgepunkteter Elefant, der Trompete spielend in einem rosa Tutu durch die Gegend tanzt. Sobald ich durch die Dörfer fahre, in denen der Streik die Zeit angehalten hat, schauen mich alle an, fragen sich wahrscheinlich, was zur Hölle ich hier mache. Und die Pfiffe und" Ai Maaaamis" der Männer reizen meine sowieso schon gestressten Nerven noch mehr als sonst.
In Naranjal esse ich nach 130km Vollgas zum ersten Mal etwas Richtiges, beziehungsweise so richtig, wie es vegan in dieser Kleinstadt möglich ist... Reis mit Salat.
Ich beschließe mir ein Hotel zu suchen und steuere das erste an, das ich finden kann. Um nicht ins Detail zu gehen, sei gesagt: Es war schäbig und gruselig, aber ich habe geschlafen wie ein Stein.
Am nächsten Tag sitze ich wieder sehr früh im Sattel und fahre drei Stunden durch nonstop Regen. Der Early Bird Lisa hat Glück, denn die Blockaden sind entweder schon abgebaut oder werden grade abgebaut. ( Wie ich später erfahre, wurden sie natürlich kurze Zeit später wieder aufgebaut)
Und so düse ich auf der kerzengraden Straße an umgestürzten Bäumen, Reifenresten und Erdhügelchen vorbei. Ich will es kurz vor die Grenze schaffen und in einem Nationalpark campen. Nach knapp 150km, von denen bestimmt 50km an Bananenplantagen vorbei führen, komme ich dort an und genieße die Ruhe, das Vogelgezwitscher und das Wissen, dass ich bald entspannen kann.
Die letzten Kilometer zur Grenze verlaufen ohne Probleme und beim Aus- und Einstempeln muss ich noch nicht mal Schlange stehen, denn Early Bird Lisa ist die einzige an der Grenze. Fünf Minuten später rolle ich Richtung Tumbes. Immer noch mit komischen Gefühl im Bauch, denn super viele haben mich vor der Küste Perus gewarnt. Horrorgeschichten von organisierten Raubüberfällen auf Radfahrer, Entführungen und, und, und.
Doch dann konzentriere ich mich auf das, was mir auf Reisen immer Ruhe gibt und auch die letzten Tage Ruhe gegeben hat - Der Glaube an das Gute im Menschen, an das Gute in dieser Welt. Es mag sich komisch und blauäugig anhören, denn ich weiß, dass diese Welt alles andere als 100% gut ist. Aber es ist genau so, wie mit der App des Auswärtigen Amtes, da stehen nur Warnungen drin, so viele, dass man das Gefühl bekommt, man müsse in jeder Gegend mit geladener Waffe und Leibwächter umher reisen. Ein gesunder Menschenverstand, das innere Warnsystem und ein bisschen Recherche sind wichtig, aber man sollte auch nicht jedem Menschen und jeder Gegend misstrauisch und voller Angst entgegentreten, denn dann verschließt man sich vor Momenten. Momenten, wie zum Beispiel, wenn man umgeben von 40 ecuadorianischen Demonstranten und 15 brennenden Reifen in the middle of nowhere steht, alle nett begrüßt, alle lächeln, die Blockade weg räumen, jubeln und man sich gegenseitig Viel Glück wünscht.
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