In 25 Tagen werde ich in Frankfurt ins Flugzeug steigen und 17 Stunden später in Buenos Aires landen. In der Stadt, in der ich vor 721 Tagen, von heute auf morgen, aufbrechen musste, weil ein Virus dabei war, die Welt lahm zu legen.
721 Tage des Wartens, des Bangens. Ein stetes Wechselbad der Hoffnung und Verzweiflung. Ich schreibe diese Zeilen und alles fühlt sich unecht an. Es fühlt sich unecht an, dass ich in 3,5 Wochen mein Fahrrad wiedersehen werde. Gleichzeitig fühlen sich die vergangenen 721 Tage unecht an, weil sie mir irgendwie wie ein paar Wochen und gleichzeitig auch Jahrzehnte vorkamen.
Ich denke zurück an das Häufchen Elend, das ich war, als ich im März 2020 in den Flieger nach Deutschland gestiegen bin. Wie überfordert ich mit allem war. Der sexuelle Übergriff auf dem Weg nach Buenos Aires, das Ankommen in einer Stadt, in der kurz vor mir auch das Virus angekommen war. Ausnahmezustand im Hostel, panische Backpacker*innen. Zu viele Gedanken, zu viele Gefühle und gleichzeitig lähmende Emotionslosigkeit. Die Entscheidung, die im Raum stand und getroffen werden musste - gehen oder bleiben? Der Überraschungsbesuch der bewaffneten Polizisten, im Hostel, an meinem letzten Abend. Die vielen Stunden, die ich auf der Wache saß, um zum dritten Mal am selben Tag den Übergriff zu beschreiben. Und dann das Ankommen in Deutschland. Einer unbekannten Pandemieversion eines Landes, in dem ich grade gar nicht sein wollte. Tage und Stunden, die ich ausserhalb meines Körpers erlebt habe. Als würde ich mir von Aussen dabei zuschauen, wie ich einfach nur funktioniere, um nicht zu zerbrechen,
Manche Leute fragen mich, ob ich nun Angst habe - Nein, ich habe keine Angst. Denn diese Macht will ich dem Täter nicht geben. Ich bin immer noch die Lisa, die an das Gute in jedem Menschen glaubt, die Fremden unvoreingenommen gegenüber tritt und viel mehr positive Erfahrungen gemacht hat, als negative.
Dennoch weiß ich, dass es Momente geben wird, in denen ich einfach anders reagieren werde, als vor dem Übergriff, der jetzt halt Teil meiner Geschichte ist. Ich habe Schiss vor den Gefühlen die kommen werden, wenn ich zum ersten Mal wieder in meinem Zelt liegen werde, in dem ich zum letzten Mal direkt nach dem sexuellen Übergriff gelegen habe. Aber ich bin gewappnet (Grüße und Danke gehen raus an meine wunderbare Therapeutin) und ich lasse mir die Liebe am Abenteuer, den Glauben an das Gute im Menschen und meine Freude nicht nehmen. Erst Recht nicht von einem Mann, der ein "Nein" nicht akzeptiert und denkt, er könne sich einfach nehmen, was er will.
Ich schaue zurück auf 721 Tage und bin erleichtert und froh, es durch 100% dieser Tage geschafft zu haben. ( again: Grüße und Danke, Frau Koch <3 )
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