„Good morning, dear passengers!“, aus dem Lautsprecher über meinem Kopf kündigt der Kapitän den Landeanflug auf Frankfurt an. Obwohl ich seit einer halben Ewigkeit unterwegs bin, verstehe ich immer noch nicht, dass ich in einer knappen Stunde wieder deutschen Boden unter den Füßen haben werde.
Vor weniger als 24 Stunden habe ich den Flug gebucht, nachdem mir klar wurde, dass es keinen Sinn macht, in Argentinien zu warten, bis Corona so weit unter Kontrolle ist, dass ich weiter radeln kann, um in drei Monaten von Sao Paulo aus nach Europa zu fliegen. Alle Grenzen sind dicht, Wildcamper werden von der Polizei eingesammelt, Hostels nehmen keine neuen Gäste auf und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie komplett dicht machen müssen.
Der Corona-Virus war zwar seit Wochen Teil der täglichen Berichterstattung, aber in der weiten Landschaft Feuerlands, so weit weg, dass man sich das Ausmaß in Europa gar nicht ausmalen konnte. Als ich an diesem Freitag Nachmittag in der gespenstisch leeren Ankunftshalle des Frankfurter Flughafens stehe, spüre ich zum ersten Mal, wie ernst die Lage ist.Die Erleichterung ist meinen Eltern ins Gesicht geschrieben, als sie mir in die Arme fallen. Sieben Monate habe ich sie nicht gesehen, für mich nichts Neues, war ich doch manchmal sieben Monate am Stück in Berlin, bevor ich sie in Bad Laasphe besucht habe.
Als wir über die ungewohnt leere Autobahn düsen, fühle ich mich, als würde ich träumen. Mein Körper ist da, aber mein Kopf steckt noch irgendwo zwischen Buenos Aires und Sao Paulo fest.
Es ist, als wäre mein Leben die letzten zwei Wochen ausschliesslich von fremden Mächten bestimmt worden. Ein LKW Fahrer, der über meinen Körper entschieden hat, ein Busunternehmen, das mir mein Fahrrad genommen hat, ein Virus, der mich von heute auf morgen, nach Hause geschickt hat. Mein Kopf kommt einfach nicht hinterher.
Nach anderthalb Stunden Fahrt kommen wir in Bad Laasphe an, ein Ort, den ich so gut kenne, an dem ich die ersten 18 Jahre meines Lebens verbracht habe, der mir gleichzeitig auch so unfassbar fremd ist. Wir fahren am Rewe Parkplatz vorbei, an dem ich in vier Monaten mit dem Rad ankommen wollte. Ich denke an mein Fahrrad, das irgendwo südlich von Buenos Aires in einem Karton steckt, dort bleiben wird, bis das Corona-Chaos sich legt. In den nächsten Tagen wache ich jede Nacht auf, denke verzweifelt nach, wo ich es abgestellt habe, wo mein Gepäck ist, wieso ich nicht in meinem Zelt liege, bis ich verstehe, dass ich im Haus meiner Eltern bin.
Ich fühle mich unfassbar glücklich, meine Familie zu haben. Kein Job, keine Wohnung, keine Krankenversicherung, eine Lösung - meine Familie. Wiedermal wird mir bewusst, wie wichtig dieses Sicherheitsnetz ist. Ich checke den Spendenstand - fast 9.500€. Zufrieden und glücklich packe ich mein Handy weg, denke an all die Kinder, denen wir mit solch einem Sicherheitsnetz bis jetzt helfen konnten.
Jeden Tag hängt mein Kopf mehrere Tage zurück, während das Virus in Windeseile die gesamte Welt lahm legt. Doch ich fange an zu verstehen, dass die Planänderungen besser für mich sind. Die Hoffnung, dass ich im August, nach der Hochzeit meines Bruders wieder durchstarten kann, ohne diesen wichtigen Termin in Deutschland als zeitlichen Rahmen meiner Reise, wächst immer mehr. Ich stürze mich in die Arbeit um „Wheels Of Fortune 2.0“ zu kreieren. Ein neuer Fundraiser. Neue Energie. Neue Ideen. Alle Zähler auf Null. Naja, bis auf den Kilometerstand.
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