Wer meine Insta-Stories verfolgt weiß, dass die letzte Woche die reine emotionale Achterbahn war. Hier der Versuch einer Zusammenfassung.
Von Villamontes geht es durch den bolivianischen Chaco Richtung paraguayischen Chaco. (Chaco = Region mit Trockenwäldern und Dornbuschsavannen, die sich über Bolivien, Paraguay und Argentinien streckt… aka middle of fucking nowhere, trocken, heiß, wenig Zivilisation, viel geradeaus)
Mit der Stadtgrenze Villamontes verlasse ich quasi direkt die Zivilisation und fahre auf einer geraden, flachen Straße kilometerlang an ein und derselben Natur entlang. Die Anden im Rücken, den Blick auf die letzten Hügelchen, bevor es dann durch den knapp 800km langen Chaco Paraguays geht. „800 KM nichts - mach ich halt richtig Strecke und baller da in 4 - 5 Tagen durch“ denke ich mir, während ich die ersten Meter auf paraguayischem Boden fahre. In der Ferne lacht der Wind sich ins Fäustchen und sagt „Hold my beer!“
Der versucht mich schon seit heute früh wieder zurück Richtung Anden zu drücken. Nach 130 KM habe ich genug und biege von der (einzigen) Straße ab, Richtung eines Naturreservats, in der Hoffnung, dass ich dort zelten darf.
Ich werde von Cesar empfangen, der im Naturreservat schaut, dass alles ordentlich ist und es Puma, Tapir, Jaguar, Nasenbär und Co gut geht. Als ich frage, ob ich zelten darf sagt Cesar, dass es ein privates Naturreservat sei, das deshalb nicht geht, er aber einfach so tun wird, als wäre ich gar nicht da gewesen. Ich bin unfassbar dankbar, während ich mein Zelt aufbaue und dusche, wuselt Cesar herum und macht alles ordentlich. Dann fragt er, ob ich Hunger habe. Ich weiß, dass die Paraguayos Fleisch noch mehr lieben, als der Rest Südamerikas. Und da ich nicht noch mehr Umstände machen will, sage ich, dass ich kein Fleisch esse, aber was dabei habe, dass er sich keinen Stress machen soll. „Magst du Zuchhini? Ich kann eine Pasta machen!“ Als ich nicke, fängt er direkt an zu kochen, röstet sogar Sesam und stellt alles auf den Tisch. „Isst du nichts?“ frage ich ihn. Er schüttelt den Kopf, für ihn sei es noch zu früh für Abendessen. Mein Herz explodiert - er hat einfach nur für mich schon so früh gekocht. Später sitzen wir draussen und plaudern und lachen sehr viel. Cesar hat einen guten Humor und es tut gut, mal wieder ein bisschen albern zu sein. Am nächsten Morgen nieselt es etwas und Cesar versichert mir, dass ich gerne noch länger bleiben kann, aber ich will weiter. Ich habe kein Bargeld und der erste Geldautomat ist noch 240 KM entfernt. Kein Bargeld zu haben - das hält eine Deutsche ja nicht lange aus... Wir umarmen uns zum Abschied und mein Herz ist ganz voll von dieser ehrlichen, herzlichen Begegnung.
Im konstanten Nieselregen fahr ich auf einer konstant langweiligen Strecke, konstant geradeaus und das alles ohne Musik, denn mein Spotify hat all meine Downloads gelöscht und da ich keine mobilen Daten habe, muss ich wohl oder übel dem Gegenwind lauschen. Irgendwann kommt ein Kreisverkehr, in dem ich rechts abbiege. Erst mehrere hunderte KM später werde ich das nächste Mal abbiegen. Gegen 15 Uhr habe ich genug vom steten Gegenwind und dem bewölkten, grauen Nieselwetter, werfe mein Zelt in irgendein Gebüsch und mache es mir gemütlich.
Am nächsten Tag scheint die Sonne, aber auch der Wind gibt wieder sein Bestes. Irgendwann hält auf der Gegenfahrbahn ein Auto. Auf spanisch fragt mich ein Mann, wo ich hin will und sagt, dass er in Filadelfia, einer deutsche Kolonie, und in Asuncion eine Art Herberge hat und ich gerne dort unterkommen könnte. Als er mir seine Nummer diktiert und dann seinen Namen sagt, werde ich schon beim Vornamen Oskar hellhörig. Als ich sage, dass ich aus Deutschland kommt, sagt er „Na, dann können wir auch deutsch sprechen!“ Er ist einer der vielen Paraguayos, deren Vorfahren 1930 nach Paraguay ausgewandert sind. Überwältigt von so viel Gastfreundschaft und Herzlichkeit fahre ich weiter und kämpfe gegen den Wind an. Ich erreiche den Geldautomaten in Mariscal und freue mich wie niemals zu vor über das Rattern der Geldscheine. Ich überlege kurz, ob ich weiter gegen den Wind ankämpfe, entscheide mich dann aber mir eine Dusche und ein Hotelzimmer zu gönnen (muss auch mal sein). Vor dem Hotel treffe ich auf ein Pärchen aus dem Süden Paraguays, die sofort von mir und meinem Fahrrad begeistert sind. Sie zücken Stift und Papier und notieren ihre Handynummer und Adresse. Falls ich durch ihren Ort kommen sollte, kann ich bei ihnen unterkommen. Mein Herz explodiert mal wieder.
Am nächsten Tag werde ich von Windböen geweckt und weiß - das wird heute kein toller Tag. Normalerweise fahre ich zwischen 22-27 km/h auf so einer flachen Strecke. Der Wind bremst mich auf 14-16kmh ab. Das ist für mich weniger eine körperliche Herausforderung, aber eine mentale. Mein innerer Diktator, wie meine Therapeutin und ich ihn immer nennen, brüllt mich an „Du faules Stück, du fährst viel zu langsam! Gib Gas!“
Irgendwann beschließe ich Oskar zu schreiben und doch den Umweg nach Filadelfia zu fahren. Er antwortet direrkt und arrangiert für mich ein Treffen mit seiner Sekretärin, da er schon auf dem Weg nach Asuncion ist. Als ich die vielen deutschen Schilder in der deutschen Kolonie sehe, ist mein erster Gedanke „Hier gibt es bestimmt gutes Brot“ Und dann treffe ich auf Jessica, Oskars Sekretärin, die mir das Haus zeigt, den Schlüssel gibt und dann wieder geht. Ich bin komplett alleine in einem schönen Haus, von einer Person, die mich gar nicht kennt und kann es kaum glauben. Frisch geduscht gehe ich auf die Suche nach Brot und werde schnell fündig. In einem Supermarkt gibt es neben gutem Brot auch viele importierte deutsche Lebensmittel - Spargel im Glas, Sauerkraut, Kühne Senf - die german essentials halt.
Am nächsten Tag mache ich mich auf und hoffe auf weniger Gegenwind. Doch der Chaco ist unerbärnlich und ich kann das ewige Pfeifen entlang meiner Kopfhörer nicht mehr hören. Was aber wunderbar ist, ist, dass die Ruta 9, auf der ich unterwegs bin, neu gebaut wird. Das heißt der Verkehr fährt auf der neuen Fahrbahn, während ich die alte, die direkt daneben liegt, für mich erobere und mir keine Sorgen um LKWs und Autos machen muss, die hier sehr viel mehr als die erlaubten 100kmh fahren. Abends zelte ich in einer Baugrube, an Abflussrohren - glamping!
Tag fünf startet mit einer neuen Strategie: vor dem Wind aufstehen. Um 5 Uhr klingelt der Wecker. In der Morgendämmerung sitze ich eine Stunde später auf dem Rad und kann eine Stunde Vollgas geben… bis der Wind wieder da ist. Abends zelte ich an einer Tankstelle.
Tag 6: Kaum Wind! Endlich! Und dennoch wird es der anstrengendste Tag der Reise. Die neue Fahrbahn ist nun nicht mehr für den Verkehr befahrbar, weil sie sich Streckenweise noch in verschiedene Stadien des Baus befindet. Der Verkehr fährt also auf der alten Straße, die nicht breiter als eine normale Landstraße ist und keinen Seitenstreifen hat. Auf der Strecke fahren sehr viele fette LKWs (Viehtransporter mit bis zu drei Anhängern und riesige LKWs mit Überbreite, die Straßenbaustellenschutt durch die Gegend fahren).
Jedesmal, wenn mir ein LKW entgegen kommt, werde ich von einer Wand aus Gegenwind erschlagen und ausgebremst. Überholt mich ein LKW, werde ich erst kurz weg gedrückt und dann durch einen Luftsog, Richtung LKW gezogen. Manche LKW Fahrer sind umsichtig und weichen auf die andere Fahrbahn aus, warten, bis der Gegenverkehr vorbei ist, schalten runter, bremsen ab. Die meisten überholen aber so nah, dass mir jedes Mal schlecht wird. Irgendwann überholt mich ein LKW so nah, dass nicht viel gefehlt hätte und ich wäre unter die Räder geraten. Ich halte an und heule vor Schreck und weil ich es Leid bin. Meine absolute Horrorvorstellung ist es, zu eins von diesen Kreuzen am Straßenrand zu werden und meinen Eltern das Herz zu brechen.
Und wie das auf Reisen halt ist, ändern sich Gemütszustände und Situationen manchmal innerhalb weniger Kilometer. Plötzlich ist rechts von mir nicht mehr Baustelle mit aufgegrabenem Boden, sondern nagelneue, asphaltierte Straße. Ich schiebe mein Fahrrad zwischen Erdhügeln auf die Fahrbahn und gleite über den glatten Asphalt. Eine Straße, nur für mich.
Doch nach 15 km ist plötzlich wieder 800m Baustellenabschnitt ohne Asphalt und als ich die Bauarbeiter sehe, denke ich, dass sie mir bestimmt sagen, dass ich sofort von der Fahrbahn soll. Ein Bauarbeiter kommt auf mich zu und sagt mir, dass ich ruhig weiterfahren kann. Ich grüße alle lieb und genieße weitere 10 KM Sicherheit. Und dann steht da plötzlich die 15.000 auf dem Tacho. Ich mache kurz ein Foto und fahre weiter. Abends frage ich bei einem Kiosk, den ich auf google maps entdeckt habe, ob ich zelten darf. Sofort werde ich in den Garten eingeladen und kann an einem großen See mein Zelt aufstellen.
Tag sieben - Die letzten 100km - Ich starte gut gelaunt in den Tag, denn heute werde ich in Asuncion ankommen, wo ich einige Tage Pause machen, vegan essen und nach vier Tagen endlich duschen werde. Leider ist meine Asphaltbahn nicht mehr asphaltiert und ich bin gezwungen wieder auf der Todesfahrbahn zu fahren. Irgendwann ist wieder ein dreister LKW Fahrer hinter mir, der einfach nur hupt, um zu signalisieren, dass ich gefälligst Platz machen soll… Doch ich habe die Schnauze voll und gestikuliere mit meiner Hand, dass er warten soll. Das scheint dem Herrn nicht zu passen. Auf der Gegenfahrbahn ist kein Verkehr, er könnte also einen Bogen um mich fahren, aber stattdessen fährt er so nah an mir vorbei, dass ich von der Fahrbahn gedrängt werde. Ich strecke meinen Mittelfinger in die Luft und schreie ihm viele unschöne Dinge hinterher. Doch er wird von zwei LKWs gefolgt, die es ihm gleich tun. Ich falle fast in den Graben, steige ab und sitze zehn Minuten heulend am Straßenrand. Ich bin am Ende meiner mentalen Kräfte und nach neun Tagen nonstop fahren wahrscheinlich auch an dem meiner körperlichen. Aber auch das ist Teil der Reise und ich weiß, dass es mir in 30 Minuten wieder anders gehen wird, erst Recht, wenn ich in Asuncion angekommen bin und auf die Strecke schauen kann, die ich in den wenigen Tagen zurück gelegt habe und wie viele Situationen ich gemeistert habe, in denen ich eigentlich aufgeben wollte… auch einfach, weil Aufgeben keine Option ist. The only way is through. Und nach 20 KM Stadtverkehr komme ich in einem Stück am Hostel an.
Ich schreibe Oskar, meinem Gastgeber aus Filadelfia. Er und seine Frau laden mich direkt zum Abendessen ein. Eigentlich bin ich so ko, dass ich kaum Energie habe, raffe mich aber doch auf und verbringe einen wunderschönen Abend mit den Beiden. Sie fahren selbst oft Motorrad und haben deswegen kleine Unterkünfte, die sie Reisenden gerne einfach so zur Verfügung stellen. „Ich glaube ihr seid die nettesten Menschen ever!“ Und dann sagt Oskar den Satz, den ich nach den wenigen Tagen in Paraguay absolut unterschreiben kann „Die Reisenden erinnern sich meist nicht an Paraguay, weil es hier kaum Sehenswürdigkeiten gib, aber sie erinneren sich an die Menschen Paraguays“
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